Freitag, 19. September 2014

Die Wölkchenschuhe

Heute gehe ich noch einmal an den Anfang, um genau zu sein an den Tag, als ich meine Diagnose bekam. Die Idee zu dem Thema habe ich schon länger im Kopf, schließlich hat es da angefangen und jetzt stehe ich hoffentlich vor dem Schritt, der alles verändern soll. 
Der Tag der Diagnose ist nichtmal ein Jahr her und trotzdem hat sich seitdem mein Leben komplett verändert. Von einem 'normalen' Leben, mit dem Fokus auf die Ausbildung zu einem völlig anderen, nicht schlechteren, Leben. 
An diesem Tag bin ich gemeinsam mit meiner Mama mit dem Zug nach Hannover gefahren. Zu diesem Zeitpunkt waren die 3 Stunden Zugfahrt, eigentlich kein großes Problem, es waren zwar einige Tics da, aber nicht durchgehen und auch nicht so laut. Wenn ich überlege, heute für 3 Stunden in einem vollen Zugabteil sitzen zu müssen... Ich glaube, ich könnte keinem Fahrgast einen Vorwurf machen, wenn er nicht ganz nett reagieren würde, aber meine größte Sorge wäre, wie ich ein neues Zugabteil finanzieren sollte. ;) In Situationen, in denen ich nicht weg kann, mich nicht austicen kann, werden die Tics zerstörisch gegen mich und meine Umgebung.
Aber an diesem Tag ging alles gut, die Fahrt war sogar sehr angenehm, nicht so eng, wie im Auto. 
Vom Bahnhof aus sind wir dann mit einem Taxi in die MHH gefahren. Der Taxi- Fahrer ist ziemlich schnell gefahren. Eigentlich ist das auch kein Problem, aber immer wenn jemand schnell mit dem Auto um eine Kurve fährt, kommt mir der Gedanke, dass wir umfallen könnten. Dann halte ich mich immer an der Tür fest und rufe 'Wir fallen um!' Zu Hause lachen alle schon immer darüber und Väter von Freundinnen fahren extra Runden im Kreisel, bis wir auf zwei Reifen stehen und ich die gesamte Zeit schreie. :)
Nach dieser aufregenden Fahrt endlich angekommen, standen wir vor einem Problem. Wo geht es lang? Diese Klinik ist glaube ich größer, als die ganze Stadt, in der ich wohne. An der Info bekamen wir, einen Plan, indem der Weg eingezeichnet war. Wie es so typisch für meine Mama und mich ist, konnten wir mit dem Plan nicht viel anfangen, selbst die Mitarbeiter, die wir fragten wussten den Weg nicht genau. Gut, dass wir noch Zeit hatten. Bei der Anmeldung angekommen, ging alles sehr schnell. Wir nahmen im Wartebereich platz und dort schallte es sehr schön. Ein anderer Touretter, hielt sich in Hörreichweite auf und so unterhielten wir uns über ein paar Ecken. Schon beim warten, habe ich mich gefühlt, als sei es hier okay, zu sein, wie ich bin. Ohne Diagnose, war es nicht leicht, sich selbst zu akzeptieren. Im Arztgespräch kam eigentlich ganz schnell raus, was mir fehlt. Wir unterhielten uns aber noch eine ganze Zeit. Dieses Gespräch tat mir sehr gut, und die gesamte Zeit ging mir nur noch durch den Kopf ' Ich bin nicht allein.'
Zurück zum Bahnhof, wollten wir mit der Straßenbahn fahren. Ich glaube es hat sich noch kein Mensch so blöd beim Fahrkarten kaufen angestellt, wie meine Mama und ich an diesem Tag. Zum Glück stand eine junge Frau auch an der Haltestelle und konnte sich irgendwann das 'Elend' nicht mehr mit ansehen und kaufte uns die Fahrkarten. Ich war die ganze Fahrt mehr am ticen, im Vergleich zu heute war es zwar wenig, aber in dem Augenblick war es viel. Aber kein anderer Fahrgast, hat negativ reagiert, es wurde geschaut und auch mal geschmunzelt, aber alles im Rahmen. 
Am Bahnhof angekommen hatten wir noch sehr viel Zeit. So sind wir noch durch die Straßen geschlendert, bis meine Mama plötzlich meinte, sie bräuchte jetzt auf der Stelle neue Schuhe. Im Schuhgeschäft war die Entscheidung schnell getroffen. Und dann konnte ich kaum fassen, was passierte. Meine Mama nahm noch ein paar Socken und ging an die Kasse, soweit war noch alles normal. Nur nach dem Bezahlen setzte sie sich einfach mitten in den Laden und wechselte die Schuhe. Von unbequemen Schuhe in die 'Wölkchenschuhe'. Die giftigen Dämpfe, die dabei austraten, hätten eigentlich gereicht um alle zu betäuben, doch zum Glück gab es eine gute Lüftung. Trotzdem hat die Verkäuferin noch ein Schuhdeo angeboten. Ob es jetzt eine Verkaufsstrategie oder Atemnot war, werde ich wohl nie erfahren, aber lustig war es. 
Die Rückfahrt verlief eigentlich ganz ruhig, einmal mussten wir umsteigen und wir haben auch prompt den Anschluss verpasst. Wir warteten auf einer Bank und eine ältere Dame um die 50 Jahre nahm neben mir platz. Ich stampfte auf und die Frau sah mich empört an. Mir war das sehr unangenehm, also versuchte ich die Tics zu unterdrücken. So saßen wir, die Dame und ich, ganz steif nebeneinander, bis es meiner Mama ein Bedürfnis war die Dame aufzuklären, damit ich wieder luftholen konnte. Mein Gesicht war sicher schon ganz blau. ;)
Die Dame reagierte nicht gerade optimal, sie schaute mich noch einmal prüfend von oben bis unten an und ging auf eine andere Bank. Mir war das aber vollkommen egal, schließlich hatte ich jetzt eine Erklärung für mein Verhalten. Nach einem sehr langen Tag sind wir endlich zu Hause angekommen. 

Jetzt, beim Schreiben, war es irgendwie ganz komisch. Es ist nichtmal ein Jahr vergangen, aber in diesen Monaten, habe ich so viel gelernt, es hat sich so viel verändert und ich bin einfach nicht mehr die Person von damals. Seit dem Tag der Diagnose, sind meine Tics gefühlt  noch mehr explodiert. So nach dem Motto:        'Jetzt erst recht! ' Ich habe gerade eine totale Gänsehaut und zum ersten Mal bin ich richtig richtig aufgeregt, wegen der bevorstehenden Zeit. Die OP selbst, macht mir keine 'große' Angst, aber die Zeit danach, über die mache ich mir Gedanken. Aber es wird alles gut werden, egal wie es wird, ich habe meinen Platz gefunden. :)

Für Heute ist Schluss, weil ich nun gehen muss. Nehmt den Abschied niht so schwer, über ein Wiedersehen freue ich mich sehr.


LifeTiccer





2 Kommentare:

  1. Du bist ein einzigartig wundervoller Mensch!!!!! Und zum Ticketkaufen wäre ich auch zu duselig gewesen. :-))))) Aus dem Lachen kam ich nicht mehr raus...Applaus....doch auch den Tiefsinn spürte ich und deine Lebensfreude läßt dich nicht im Stich. Ja, es wird alles gut, denn mit deinem Mut tust du anderen Menschen gut.
    LG von der alten fast 50igerin :-))))) mit den Kommentaren......:-)))))

    AntwortenLöschen
  2. Hallo hallo ich wollte mich bei dir bedanke das du dein Leben mit uns teilst . Ich finde das du ein großartiger Mensch bis . Ich lese dein Tagebuch immer abends vor den schlafen gehen und staune wie ihr das alle meistert .ich muss auch oft lachen so wie heute im Schubladen . Ich wünsche dir alles alles gute .lieben Gruß Petri

    AntwortenLöschen

Erzähl mir, was dir dazu einfällt...