Mittwoch, 17. September 2014

Lasst sie in Ruhe, sie hat das Syndrom!

Kurzes Update. Noch eine Woche, bis es los geht. 
Diesmal geht es um, die Gesellschaft und wie sie mit dem Tourette-Syndrom umgeht. 

Ich könnte daraus, jetzt einen richtig wütenden und Mitleid erweckenden Post machen, aber das ist nicht mein Ziel und schon überhaupt nicht meine Art. Für mich ist es auch wichtig, dass wir, die Betroffenen, ein bisschen mehr Verständnis für Außenstehende aufbringen. 
Stellt euch doch mal vor, irgendjemand läuft hinter euch auf der Straße und ruft ein lautes 'Hey, Hey, Hey'. Was würdet ihr tun? Genau, umdrehen und schauen. Das ist eine vollkommen normale Reaktion und evolutionsbedingt tief in einem Menschen verankert. ( Entschuldigt, diesen Klugscheißersatz, ich schaue gerade 'The Big Bang Theory'. :D)

Mir ist auch schon so einiges passiert und locker weggesteckt, habe ich das Wenigste, aber jetzt, nach einer gewissen Zeit, sind gerade diese Situationen oft für ein Lacher gut. 
Ein Beispiel. In unserer Straße gibt es einen kleinen Supermarkt. Einkaufen ist für mich nicht immer einfach. Nicht nur, weil ich besser einen großen Bogen um das Gewürzregal machen sollte, da ich die Gewürze von Basilikum bis Zimt vorlese, sondern, weil sich gelegentlich Leute in ihrem Einkauf gestört fühlen. Inzwischen ist es aber so, dass wenn ich dort einkaufe, ich mir keine Sorgen machen muss 'Was passiert, wenn mich mal wieder jemand blöd anmacht oder bedroht?'. Falls so etwas vorkommt, schnellt ein Mitarbeiter des Supermarktes hinter einem Regal vor und sagt 'Lassen Sie, die junge Dame in Ruhe, die hat ein Syndrom!' Ja, dort habe ich ein Syndrom. Das klingt vielleicht witzig und wir haben auch schon so einige Witze darüber gemacht, doch man kann sich überhaupt nicht vorstellen, welch ein tolles Gefühl das ist, einfach mal keine Angst zu haben und unbeschwert seinen Einkauf zu erledigen. In anderen Geschäften ist es auch immer so, dass ich an der Kasse 'Überfall, Polizei, Polizei' rufe, in diesem kleinen Geschäft in der Straße stört es keinen mehr, also ist es uninteressant für den kleinen Kobold in meinem Kopf und ich lass es einfach.

Und diese positive Reaktion oder einfach überhaupt keine Reaktion, kommt von dem größten Teil der Gesellschaft. Nur Wenige reagieren abwehrend, abwertend, aggressiv oder beschimpfend. Aber genau diese Reaktionen brennen einem im Gedächtnis, genau das macht Angst und bringt viele Touretter dazu, sich zu Hause einzuigeln. Ich habe das auch hinter mir und heute kämpfe ich noch jeden Tag aufs Neue mit meinem Mut. Aber es geht nicht anders, Betroffene müssen die Gesellschaft mit dem Tourette-Syndrom konfrontieren, allein schon dafür, dass nächste Generationen, sich keine Gedanken mehr darüber machen müssen, ob Tourette in der Gesellschaft akzeptiert wird.
Viele Leute reagieren auch zuerst abwehrend, aber wenn man erklärt, warum man sich gerade so verhält, sind sie interessiert und entschuldigen sich sogar manchmal. Einmal kam ich vom einkaufen und ging die Straße, 'ganz unauffällig;)', entlang. Ein kleines Mädchen fragte daraufhin ihre Mama: 'Mama, warum macht die so komisch Sachen? Sowas macht man doch nicht.' Natürlich hat das Kind recht, man macht so etwas nicht, Ich schon. Die Mutter des Kindes antwortete: 'Mein Schatz, manche Menschen sind einfach verrückt und wissen nicht, was sich gehört.' Empört von diesen Worten, ging ich etwas schneller und sprach die Frau an. Ganz höflich und ich erklärte ihr, warum ich mich so verhalte. Und dann zeigte diese Frau wahre Größe, sie entschuldigte sich bei mir und sagte ihrer Tochter: 'So, mein Schatz, jetzt hast du gesehen, was passiert, wenn man zu schnell Leute in eine Schublade steckt.' Vor dieser Dame kann ich nur meinen nicht vorhandenen Hut ziehen. 

Super witzig ist auch zu sehen, wie die verschiedenen Angehörigen oder Freunde in der Öffentlichkeit mit ihrem Touretter umgehen. Nehmen wir mal das Beispiel, die Bewohner der Irrenhaushauptzentrale. 
Die Situation ist immer die Selbe. Der Bewohner geht mit seinem Touretter in einer Einkaufspassage spazieren und ein Fremder reagiert zuerst mit Gelächter und dann mit Beleidigung auf die Tics. 

Der Beschützer: Er verteidigt seinen Touretter und auf Grund des Alters des Beschützers, gibt der Fremde schnell nach.
Der Fachmann: Der Fremde wird vom Fachmann gekonnt ignoriert und mit einem bösen Blick zum Schweigen gebracht.
Der Sensible: Würde sich nur ungern mit seinem Touretter dort aufhalten und schon garnicht allein. Dort müsste der Touretter selbst agieren. Aber der Sensible kann sich bei dem Touretter wunderbar über den Fremden aufregen.
Der Provokateur: Diese Art redet mit einem hohen Maß an Geduld, aber trotzdem mit deutlichen Gesten ( dem bösen SchimpfeFinger;D) auf den Fremden ein, bis dieser aufgibt.
Der Ist-Mir-Egal: Er reagiert zunächst etwas ungünstig auf den Fremden, indem er über die Tics lautstark lacht. Eigentlich eine gute Reaktion, nur der Fremde kommt sich veralbert vor. Aber würde es darauf ankommen, dass der Ist-Mir-Egal seinen Touretter beschützen muss, wird er zu einer ganz neuen Spezies... Er Wird zum 'Hulk'
Der Kämpfer: Der Kämpfer kann es überhaupt mich hinnehmen und verteidigt seinen Touretter vor dem Fremden. Er kann dies so überzeugend, dass selbst vollkommen fremde Lehrer, die noch nie Kontakt mit dem Kämpfer hatten, lieber auf ein Elternsprechtag-Gespräch verzichten, aus Angst den Löwen im Kämpfer zu wecken.
Der Mutmacher: Für den Mutmacher ist es auch nicht immer leicht, seinen Touretter auf der Straße zu sehen. Doch vor dem Fremden beschützt er seinen Touretter kompromisslos.

Eine besondere Art sind aber die Freunde. Bei mir ist es so, dass erst die Freunde und dann das Tourette-Syndrom kam, dadurch hat sich viel geändert....
Und morgen im Blog gibt es mehr dazu. :)


Schade, ich muss für heute gehen,
aber morgen, werden wir uns wiedersehen. (lesen)

LifeTiccer

2 Kommentare:

  1. Lieber LifeTiccer,

    den, bei mir ebenfalls nicht vorhandenen ;-), Hut ziehe ich vor DIR!

    Mit einem unglaublichen Einfühlungsvermögen, einer hohen Intelligenz, einer grundsätzlichen optimistischen und positiven Lebenseinstellung beschreitest Du Deinen sehr harten Weg, stets, so weit möglich, mit einem kleinem Augenzwinkern. Und dies ist noch nicht alles! Du verstehst es auch noch dies alles und Deinen so wunderbaren Humor, perfekt zu "Papier" zubringen.

    Ich bin, und war es schon immer, schwer beeindruckt von Dir :-)

    Ganz viele liebe Grüße

    Maria

    AntwortenLöschen
  2. Den Worten von Maria kann ich mich nur anschließen. Habe mir gerade meine Winzermütze aufgesetzt und ziehe die Mütze vor Dir!!!!!

    Auch wenn du gestern gegangen bist, ein neuer Tag heute angebrochen ist. Ein Fan ich von deiner Seite bin, mein Reimen macht heute Sinn. :-)))))

    AntwortenLöschen

Erzähl mir, was dir dazu einfällt...